Seit vielen Wochen sind wir nun zu dritt zu Hause. Mein Sohn im Homeschooling, mein Mann und ich im Homeoffice. Wir wohnen mitten in der Stadt und haben keinen Garten. Deshalb sind die Möglichkeiten, wie wir uns aus dem Weg gehen können, sehr begrenzt. Zum Glück verstehen wir uns gut und verbringen auch gerne viel Zeit miteinander. Aber die ungewohnte Nähe birgt natürlich auch das Potential für Konflikte. Wenn man sich Tag und Nacht nicht aus dem Weg gehen kann, sind Spannungen fast unvermeidlich, auch wenn man sich noch so gut versteht.
Ich bin es gewohnt, entweder in meinem Coworking-Büro oder zu Hause zu arbeiten. Man könnte meinen, dass sich für mich deshalb aufgrund der Corona-Krise nicht allzu viel verändert hat. Auch wenn ich meine Coworking-Kollegen vermisse, bin ich es durchaus gewohnt, alleine zu Hause zu arbeiten. Allerdings bin ich es nicht gewohnt, dass mein Mann im Nachbarzimmer lautstark telefoniert und dass aus dem Kinderzimmer in verlässlichem Abstand irgendein „Mama-Ruf“ zu den unterschiedlichsten Themen ertönt. Ich versuche gelassen zu bleiben und mich dennoch auf den Text zu konzentrieren, den ich gerade schreibe. Aber spätestens um die Mittagszeit habe ich das Gefühl, beim nächsten Mama-Ruf laut schreien zu müssen.
Der Wald ruft
Gleich zu Beginn der Corona-Krise haben wir in unserer Familie ein Ritual eingeführt: Wir gehen – sofern es zeitlich irgendwie passt – jeden Tag in den Wald. Immer nach dem Mittagessen machen wir uns auf den Weg. Meistens gehen wir die gleiche Runde. Trotzdem wird es nie langweilig. Der Wald verändert sich gerade jetzt im Frühling fast täglich, so dass es immer etwas Neues zu entdecken gibt. Sobald wir im Wald ankommen sind, merke ich, wie sich in mir etwas verändert. Auch wenn ich mich gerade noch mit meinem Sohn gestritten habe (was zur Zeit öfter mal vorkommt), werde ich plötzlich ganz ruhig und spüre, wie alle Anspannungen von mir abfallen. Und auch bei meinem Mann und meinem Sohn merke ich eine Veränderung. Die Arbeit, die Schule und die Alltagssorgen bleiben hinter uns zurück, und wir fangen an, uns zu unterhalten und auszutauschen. Es gibt kaum ein Thema, das wir auf unseren Waldspaziergängen noch nicht besprochen haben.
Schon als Kind habe ich viel Zeit im Wald verbracht. Wir wohnten damals direkt am Waldrand, und so war der Wald quasi mein Spielplatz. Wie schön war es, mit meinen Freunden durch den Wald zu streifen, kleine Hütten zu bauen, unter einem Jägerstand ein Rehkitz zu entdecken oder die Frösche in einem kleinen Teich zu beobachten. Meine Oma, die direkt neben uns wohnte, drehte jeden Tag eine lange Runde im Wald. Als pubertierender Teenager habe ich sie oft begleitet. Die Gespräche mit meiner Oma und der Wald haben wohl schon damals meine aufgewühlten Gefühle zur Ruhe gebracht. Und so ist sie mir bis heute erhalten geblieben, meine Liebe zum Wald.
Das Geheimnis des Waldes
Dass uns der Wald gut tut, können wir selbst spüren, wenn wir achtsam und aufmerksam sind. Aber warum tut uns eigentlich ein Aufenthalt im Wald so gut? Ist es die frische Luft? Das viele beruhigende Grün, das uns dort umgibt? Ist es nicht so sehr der Wald, sondern vielmehr die Tatsache, dass wir uns an der frischen Luft bewegen? Das ist die große Frage, die sich schon viele Wissenschaftler gestellt haben: Wirkt der Wald durch seine positive Atmosphäre lediglich beruhigend auf uns, oder kann der Wald noch viel mehr?
Schon vor über 30 Jahren stellten Wissenschaftler fest, dass Menschen nach einer Operation schneller genesen, wenn sie aus ihrem Krankenzimmer nicht nur auf eine kahle Wand, sondern auf einen Baum schauen. Das heißt, alleine der Blick auf einen Baum hat positiven Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Andere Untersuchungen zeigten, dass Menschen umso gesünder sind, desto mehr Bäume in ihrem Wohngebiet wachsen. Forscher untersuchten das Stadtgebiet von Toronto und die Menschen, die dort leben. Sie stellten fest, dass nur zehn Bäume mehr im Wohngebiet die Menschen dort im Schnitt um ganze sieben Jahre verjüngen ließen.
Der Wald und das Immunsystem
Und wenn nur zehn zusätzliche Bäume in unserem Wohnblock einen solchen Effekt haben, was passiert dann erst, wenn wir uns im Wald aufhalten? In Japan wird an der Universität von Tokio schon lange untersucht, welche Auswirkungen der Wald auf unsere Gesundheit hat. Aus der japanischen Volksmedizin stammt auch die Tradition das Waldbadens (Forest Bathing), die inzwischen auch ihren Weg zu uns gefunden hat. Wissenschaftler konnten bereits 2013 nachweisen, was das Erfahrungswissen der Volksmedizin vermuten ließ: Ein Aufenthalt im Wald wirkt sich positiv auf unsere Gesundheit aus.
Dabei nahmen die Wissenschaftler von Probanden vor und nach einem Waldbesuch Blutproben. Sie stellten fest, dass sich schon kurze Waldspaziergänge positiv auf das Immunsystem auswirkten. Ein ganzer Tag im Wald führte sogar dazu, dass die Anzahl der natürlichen Killerzellen anschließend um 40 % erhöht war. Und auch die Aktivität dieser Killerzellen war deutlich gesteigert. Das bedeutet, dass der Wald - gerade jetzt in Zeiten von Corona - für uns arbeitet. Denn die natürlichen Killerzellen sind dafür verantwortlich Viren in Schach zu halten, bis unser Körper genügend Antikörper produziert hat. Diese sind dann wiederum in der Lage, die Eindringlinge abzutöten.
Geheimnisvolle Stoffe
Da stellt sich natürlich die Frage, wie ein einfacher Aufenthalt im Wald so eine erstaunliche Wirkung haben kann. Bei ihren Forschungen stießen die Wissenschaftler auf die sogenannten Terpene. Das sind sekundäre Pflanzenstoffe, die im Wald reichlich vorhanden sind. Bäume, Pilze und andere Pflanzen kommunizieren mit Hilfe dieser gasförmigen Stoffe miteinander. So können Bäume zum Beispiel andere, weit entfernte Bäume vor einem Schädlingsbefall warnen, so dass sich die „Kollegen“ auf die Ankunft dieser natürlichen Feinde entsprechend vorbereiten können.
Es gibt zahlreiche unterschiedliche Terpene, die für Pflanzen verschieden Funktionen haben. Besonders zwei dieser Stoffe sind wohl für die positive Wirkung auf unser Immunsystem verantwortlich: Limonene und Pinene. Diese heilsamen Stoffe finden wir übrigens nicht nur im Wald, sondern auch in zahlreichen Lebensmitteln, zum Beispiel in Form von Carotinoiden, die vorbeugend gegen Krebskrankheiten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen helfen. Wir können diese wertvollen Substanzen also auch über unsere Ernährung zu uns nehmen und so noch mehr für unsere Abwehrkräfte und unsere Gesundheit tun.
Nicht nur gut für unser Immunsystem
Aber das ist bei weitem noch nicht alles, was diese sekundären Pflanzenstoffe können. Untersuchungen zeigten, dass diese Stoffe nicht nur unsere Abwehrkräfte stärken, sondern auch messbar vor Krebs schützen. Andere Untersuchungen zeigten, dass ein Aufenthalt im Wald den Blutdruck und bei Diabetes II den Blutzuckerspiegel senkte und die Bildung von körpereigenen Herzschutzsubstanzen steigerte.
Deshalb sollten wir uns möglichst oft in der Natur und an der frischen Luft aufhalten. Wer in der Nähe des Waldes oder eines Parks wohnt und aktuell überwiegend im Homeoffice arbeitet, schafft es vielleicht, einen täglichen Spaziergang in den Alltag zu integrieren. Das kann eine Joggingrunde am Morgen oder auch ein Spaziergang nach dem Mittagessen sein. Da die Tage jetzt wieder spürbar länger sind, können diejenigen, die tagsüber arbeiten müssen, sogar abends eine Runde im Wald einplanen.
Täglich oder auch nur am Wochenende
Aber selbst wenn wir das unter der Woche zeitlich nicht schaffen, hilft es uns und unseren Abwehrkräften bereits, wenn wir am Wochenende regelmäßige längere Aufenthalte im Wald und in der Natur einplanen. Denn die Forscher haben festgestellt, dass der positive Effekt auf unsere Killerzellen nach einem zweitägigen Aufenthalt im Wald noch 30 Tage anhält. Das heißt, wir müssen nicht jeden Tag im Wald verbringen, um uns etwas Gutes zu tun.
Wenn wir damit anfangen, regelmäßige Waldaufenthalte in unseren Alltag zu integrieren, werden wir vielleicht selbst spüren, wie gut es uns danach geht und dass sich ein ausgedehnter Waldspaziergang wie ein kleiner Urlaub anfühlen kann. Und vielleicht bleibt es dann nicht bei gelegentlichen Besuchen im Wald. Vielleicht machen wir dann diese kleinen Urlaube zu einem regelmäßigen Ritual und zu einem festen Bestandteil in unserem Tagesablauf. Einfach weil sie uns gut tun und weil wir wissen, dass sie uns und unser Immunsystem stark machen.
Ihre Eva Ehehalt
(Eva ist Ernährungsberaterin, Autorin und Bloggerin. Auf Ihrer Seite findet Ihr viele tolle Tipps und Rezepte: www.leckervital.com)